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Die
Vergangenheit
Stuttgarter Altstadt vor ein paar Jahren, ein kleiner Laden im Rotlichtviertel.
Drei befreundete Musiker renovieren eher lustlos die 14 Quadratmeter,
die von nun an ihre Existenz sichern sollen. Nächtelang hat man diskutiert,
abgewägt, Pläne aufgestellt und wieder verworfen ein
vegetarischer Imbiss muß her, das hat Zukunft, die Musik läuft
nur noch nebenbei. Doch schon nach einigen Tagen schmeißen Zam,
Tira und Morscher Farbe und Pinsel in den Müll: Wir geben noch
mal richtig Gas. Der Laden bleibt halbrenoviert, die Geschichte
von Rauhfaser beginnt.
Zam Helga, Tira und Morscher lernen sich 1990 in der Kultkneipe Exil
kennen Zam probt mit seiner damaligen Band, den Helga Pictures
im Keller, oben spielt Morscher mit der Punkformation Problem,
Tira kellnert, um sich ihr Modedesign-Studium zu finanzieren und spielt
Rhythmusgitarre in verschiedenen lokalen Bands. Man freundet sich an,
redet viel, doch die Wege trennen sich wieder- zu unterschiedlich sind
die musikalischen Interessen. Erst Jahre und viele Erfahrungen später
wird man feststellen, wie befruchtend solche Gegensätze sein können.
Zam Helga packt schon mit 11 Jahren die Muse, als er seine erste Gitarre
in den Händen hält. Mit 15 das erste Konzert, danach in tausend
Bands gespielt. Die erste große Sache sollte ein Revival
der alten Formation Anyones Daughter werden, erinnert sich Zam,
Aber ich habe schnell gemerkt, daß das nicht mein Ding ist.
Mit zwei anderen Jungs gründet er die Rockband Helga Pictures,
Zam ist musikalischer Kopf der Band und Hauptsongwriter. Ein findiger
Manager nimmt die businessmäßig völlig unerfahrene Boyband
unter Vertrag: Die meistem Fans waren Mädchen, die dann besonders
glücklich waren, wenn wir ohne T-Shirt auf die Bühne kamen...
Die Pictures sind erfolgreich, sie treten beim Bizarre-Festival und WDR
Rockpalast auf und touren im Vorprogramm von New Model Army, Bob Geldof
und Blur. Doch nach vier Jahren ist es mit der Harmonie vorbei. Bei einem
Popkomm-Auftritt erreicht der interne Streit seinen Höhepunkt und
Zam verteilt noch während des Konzertes seine Amps auf der Bühne
und geht. Ehrlichkeit ist das Wichtigste für mich. Wenn ich
das Gefühl habe aufhören zu müssen, dann ziehe ich das
durch.
Zam sucht sich eine neue Begleitband und lebt seine bis dahin unterdrückte
intellektuelle Seite aus: künstlerische Texte, Persiflagen, zappa-eskes
Zeug. Lieder von Elfen und Geistern, Lieder vom Sterben und dem
Glück des Nachlebens neben Songs über korrupte Manager. Live
gab es illustre Inszenierungen ganz nach Peter Gabriel, exzessive Performances
für Augen und Ohren. Zam Helga und die Zulus werden zu
Lieblingen der alternativen Szene: Liveauftritte im SDR-Fernsehen, auf
der Vivabühne in Köln und beim Strange Noise Festival, dazu
kommt eine Nominierung für den Kometen 1996. Mittlerweile sitzt Morscher
bei Konzerten der Zulus am Schlagzeug und legt Platten in diversen Clubs
auf. Eine prägende Erfahrung für Zam: Meine Sachen waren
zu kopflastig geworden, in den Clubs habe ich Musik zum ersten mal wieder
richtig im Körper gespürt.
Auch Morscher hat bis dahin recht wechselhafte musikalische Erfahrungen:
Als Kind zum Akkordeonspielen genötigt, sieben Jahre
Unterricht am Instrument. Ein Cello im Schulorchester mußte auch
noch sein. Ich habe in meiner Jugend wohl zuviel Klassik gehabt,
stellt Morscher fest, denn als Teenager folgt die radikale Wende zum Bassmann
in der örtlichen Punkband. Schließlich entdeckt er das Schlagzeug
für sich und entwickelt eine Vorliebe für harten Rhythmus.
Tira bereitet in dieser Zeit ihre erste Modenschau vor und bittet Zam,
die passende Musik zu schreiben. Auch sie hatte ihr Bühnen- und Studiodebut
bei den Zulus: Ihr Timing hat mich völlig weggeblasen, als
ich sie das erste mal spielen hörte!, schwärmt Zam. Tira
ist Depeche Mode-Fan der ersten Stunde, hört englischen Rave und
erschließt Zam die große neue Welt der elektronischen Musik.
Die gemeinsame kreative Arbeit mit Musik ist so spannend, daß Tira
die Mode an den Nagel hängt und sich mit Zam und Morscher in das
Abenteuer Rauhfaser stürzt.
Was noch fehlt, ist ein Bass-Mann, doch es findet sich keiner, der die
musikalischen Visionen teilt. Da entdeckt Tira ihren Les Paul
Bass, 20 Pfund schwer und blauglitzernd: Ich habe mich sofort in
ihn und seine tiefe Stimme verliebt. Mein Herz hing immer an der Gitarre,
aber dieser Bass hat eine Seele. Tira spielt ihren Bass mit soviel
Melodie, daß man die zweite Gitarre nicht vermisst.
Die im Herbst 1999 veröffentlichte Single Die Schöne und
das Biest eroberte sofort die Herzen und Ohren begeisterter Radiohörer
und -moderatoren. Spektakulär auch das dazugehörige Video: Regisseur
Rainer Matsutani pflegt gute Kontakte zu Schauspielern und überzeugt
u.a. seinen Freund Udo Kier, im Video einen Frauen mordenden Psychopaten
zu spielen. Kier, einer der wenigen deutschen Schauspieler, die in den
USA einen Namen haben ist so angetan von der Rauhfaser-Musik, daß
er Zam, Tira und Morscher nach Los Angeles einlädt. Im Januar 2000
war es soweit: Rauhfaser spielen eine Rolle in seinem neuen Film Broken
Cookies, der schrägen und grotesken Liebesgeschichte eines
transsexuellen Rollstuhlfahrers.
In den Monaten der intensiven Arbeit an ihrem Album Netropol (Herbst 2000)
verändert sich das Musikbild der drei immer wieder: mehr Elektronik,
lautere Beats und härtere Grooves, aber auch viele indische Sounds
erweitern das musikalische Spektrum. Gekrönt werden die Songs von
der Helga-eigenen Art, in den Texten Geschichten und Stimmungen zu transportieren.
Diese Texte sind Beschreibungen bizarrer und wunderschöner Welten
an den äußeren Grenzen der menschlichen Seele. Songs über
Online-Junkies, Erotik im Netz, dem Reiz des Buddhismus, falschen Idolen
und Selbstfindung um festzustellen, daß Glück
nur ein Lebensziel ist. Bei uns hat man die Gelegenheit, auch
hinter die Musik zu schauen.
Die
Zwischenzeit
Nach der Veröffentlichung von Netropol folgten harte
Arbeit: Gigs, Promo-Touren, TV-Shows und schließlich eine halbjährige
Ruhepause. Nie zuvor habe Ich mich derart nach einer Zeit der Stille
gesehnt. Netropol war laut, wild und oft selbst-zerstörerisch.
Ich habe schon immer über das geschrieben, was Ich lebte und Netropol
jagte mich wie ein Raubtier, philosophiert Zam was der introvertierte
Denker eigentlich am liebsten tut. Ich stieß in die Tiefen
des Nets online und suchte parallel in den Tiefen des Lebens offline nach
Grenzen. Netropol, unser virtuelles Hotel im weltweiten Daten-Meer diente
mir als Ausgangsstation für diese Vorstoße.
Dazu kamen die grundsätzlichen Überlegungen, wie man die Klanggewalt
der CD auch live richtig umsetzen könnte. Damals entwickelte
Ich mich zum virtuellen Gitarristen: Ich hatte mich
entschlossen, Gitarre nur noch über den Sampler zu spielen. Das gab
mir durch die Möglichkeiten von Filtering, Loops, Modulation das
Gefühl von Interaktionsfähigkeit, die ich einfach als Rechnerjunkie
hatte. Doch Ich war stetig zwischen zwei Welten gefangen, die mich nicht
wirklich eintauchen ließen. Dazu wuchs mein Bedürfnis, wieder
an meine frühere Performance als erzählerischer
Frontmann anzuknüpfen. Wir waren also vor viele Entscheidungen gestellt,
die wir endlich gefällt haben.
Die Gegenwart
2002 herrscht wieder Aktion bei Rauhfaser. Man renoviert wieder: Diesmal
aber den alten Luftschutzbunker aus alten Zam Helga Tagen. Hier
entstanden viele unserer besten Songs und hier werden wir auch wieder
viele neue schreiben. Die Luft ist rauh, die Akustik eisern, alles
riecht noch heute nach kaltem Krieg. Das Innen im Bunker gegen
das Außen der Welt. Viel Spannung für neue Texte. Neben den
Drums und dem Bass steht wieder ein umtriebiger Zam mit schwerer Les Paul
über der Schulter, vor ihm ein Computer-Rack mit einer Armada an
Fußschaltern und hinter ihm ein die ersten Requisiten für eine
neue "alte" Art, dem Publikum gegenüber zu treten - mal
als erleuchteter Buddha, mal als ein schwarzer Engel am Rande der Welt...
Zam Helga: Gesang, Gitarre, Keys und Elektronik
Morscher: Schlagzeug, Djembe, elektronische Schlagmuster
Tira: Baß
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